Wir sind ein Teil dieses Landes, und wir werden hier weiterleben

Elif Kubaşık ist die Witwe des 2006 vom NSU in Dortmund ermordeten Mehmet Kubaşık.  Das hier veröffentlichte Plädoyer hielt sie am 21. November 2017 auf dem NSU-Prozess in München auf Türkisch. Der nachfolgende Text ist die in der Hauptverhandlung verlesene deutsche Übersetzung.

Foto Gedenkstätte

Mein Name ist Elif Kubaşık.
Ich bin Kurdin, Alevitin, Dortmunderin, deutsche Staatsangehörige. 1991 sind mein Mann Mehmet, unsere Tochter Gamze und ich als Flüchtlinge hierher nach Deutschland gekommen und haben politisches Asyl erhalten.
Mein Mann Mehmet wurde am 4. April 2006 von der Terrororganisation NSU ermordet. Mehmet und ich haben uns sehr geliebt und daraufhin geheiratet. Er war sehr liebevoll, er war sehr besorgt um seine Familie, er war vernarrt in seine Kinder, er hatte eine sehr enge Beziehung zu seiner Tochter Gamze. Jeder Mensch, ob klein oder groß, ob jung oder alt, mochte ihn. All die guten Dinge fallen mir ein über Mehmet, wenn ich an ihn denke, was für ein Mensch er war, wie schön er war, als Mensch, was für ein Vater er war. Mein Herz ist mit Mehmet begraben. Ich glaube, die Stärke, die ich heute zeigen kann, die kommt einfach von der Beziehung mit ihm. Ich glaube, das Vertrauen, vor allem auch die Sicherheit, die er mir gegeben hat, hat mich stark gemacht.

Zu diesem Prozess zu kommen, war niemals leicht für mich, heute ist es auch nicht leicht für mich, diese Leute zu sehen, das auszuhalten, ist nicht leicht. Ich war immer wieder krank, nachdem ich hier war. Besonders schwer ist es für mich, den Anblick dieser Frau auszuhalten. Ekelhaft, einfach ekelhaft aber war ihre Aussage. Es ist alles Lüge, was sie sagte. Sogar die Form, wie sie sich entschuldigt hat, war verletzend. Das war so, als würde sie uns beleidigen. Mein Arm wurde taub durch die Anspannung, weil ich versucht habe, mich währenddessen zusammenzureißen. Man hatte das Gefühl, sie macht sich lustig über uns. Aber auch der Tag, an dem die Polizisten aus Dortmund ausgesagt haben, war ein schlimmer Tag für mich: zu hören, welchen Beweisen sie überhaupt nicht nachgegangen sind, was sie sich nicht einmal angeschaut haben. Ich will, dass die Angeklagten hier verurteilt werden, ich will, dass sie ihre Strafe bekommen.
Aber für mich wäre weitere Aufklärung auch sehr wichtig gewesen. Hier im Prozess sind meine Fragen nicht beantwortet worden: Warum Mehmet, warum ein Mord in Dortmund, gab es Helfer in Dortmund, sehe ich sie heute vielleicht immer noch, es gibt so viele Nazis in Dortmund, und für mich so wichtig, was wusste der Staat? Vieles davon bleibt unbeantwortet nach diesem Prozess.

Frau Merkel hat ihr Versprechen von 2012 nicht gehalten. Aber eines möchte ich zum Abschluss noch sagen: Die, die das gemacht haben, die diese Taten begangen haben, sollen nicht denken, weil sie neun Leben ausgelöscht haben, dass wir dieses Land verlassen werden.
Ich lebe in diesem Land, und ich gehöre zu diesem Land. Ich habe zwei Kinder in diesem Land zur Welt gebracht, und mein Enkel Mehmet ist hier zur Welt gekommen. Wir sind ein Teil dieses Landes, und wir werden hier weiterleben.


Kubaşik, Elif, Wir sind ein Teil dieses Landes, und wir werden hier weiterleben. Plädoyer vom 21. November 2017, S. 25. In: Von der Behrens, Antonia (Hrsg.): Kein Schlusswort. Nazi-Terror I Sicherheitsbehörden I Unterstützernetzwerk. Plädoyers NSU-Prozess, VSA: Verlag 2018, S. 328.

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Foto: Mark Mühlhaus / attenzione | siehe auch Fotostrecke Tatorte