Weil stellen wir uns vor es ist Frauenfußball und alle gehen hin

In seinen Anfängen war Frauenfußball für die Mehrheit der Bevölkerung nichts Geringeres als der kulturelle Niedergang. Man befürchtete, die Frauen könnten zu Mannsweibern mutieren und die Männer vor Hunger ganz schwach werden, weil die Frauen nicht kochten, sondern kickten, und schließlich würden sie vor Hunger und Langeweile sterben, weil sie sich, alleingelassen von ihren fußballwütigen Frauen, den Schrott auch noch im TV ansehen müssten. Die Öffentlich-Rechtlichen, diese Wimpelchen, würden einknicken und aufspringen, alles wäre voll mit Frauenfußball-Bundesliga und nicht einmal im heimischen Fernsehsessel wäre man sicher vor den ballbewaffneten Berserkerinnen. 

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Nichts davon ist geschehen, nicht einmal das mit den Öffentlich-Rechtlichen. Diese Wimpelchen. Und doch ist sehr viel passiert: Wir kochen nicht, wir kicken und wir haben Torwart-, Co- und Cheftrainer_innen, wir spielen mit Kopftuch und ohne und mit all unseren lesbischen Freundinnen, wir tragen wahnsinnig elegante Frisuren oder haben uns eben noch kurz selbst die Haare geschnitten, weil's nervte (ohne Spiegel). Für alle, die's verpasst haben: Frauenfußball hat in seiner vergleichsweise winzig kurzen Geschichte das Feld von hinten aufgerollt, da wird geklotzt und nicht gekleckert, und was im Männerfußball von der Gründerzeit bis heute gebraucht hat, da düsen wir in zwei Wochen durch. Oh ja, jetzt ist ein guter Moment, um ein bisschen Angst zu kriegen vor uns, denn jetzt geht’s erst richtig los. Mit Seitfallziehern und Dribblingzauber, mit Laolawellen und Hotdogorgien. Kein Ball, kein Platz, kein Stadion ist sicher vor uns, ab morgen werden die Profis bezahlt wie Profis und die Amateure, ach, denen geht’s jedenfalls auch irgendwie saugut. Der Nachwuchs blockiert nicht mehr die Plätze mit Ballverfolgung im Rudel, sondern kriegt eine solche Wahnsinnsausbildung, dass Messi Angst vor der C-Jugend kriegt. Manchmal kommen die Jungs vorbei, um sich Tipps abzuholen, und zu denen ist man dann schon auch nett. Aber manchmal denken wir an Wim Thoelke und Sepp Blatter und 1955 und das Verbot und dann foulen wir einen und sagen: Tut mir total leid, war taktisch.

Und die Trainerin gibt uns hinterher einen druff und sagt: Mensch, das hast du doch gar nicht mehr nötig. Wir wollen hier keine mit Rot auf der Bank sitzen haben, wenn wir nächste Woche ein ausverkauftes Heimspiel haben. Und dann gucken wir zur Entspannung ein bisschen Männerfußball auf Eurosport Drei und finden, dass die Frauenfußball-Championsleague zuviele Sendeplätze einnimmt, weil wir uns seit unserer heftigen Gehaltsaufstockung so gerne Naturdokus angucken, zur Inspiration für unsere Fernreisen. Und Samstags ist Spektakel im Stadion, ohne Prügel, aber schon mit Pyro, und wir haben die bunteste Rakete, und damit schießen wir. Laut.


Rosa Wernecke, Stine Hertel: 111. Grund. Weil wir uns vorstellen, es ist Frauenfußball und alle gehen hin. In: 111 Gründe, Frauenfußball zu lieben: Eine Liebeserklärung an den großartigsten Sport der Welt. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag. Berlin: 2014, S. 271f.

Stine Hertel ist Teil des Performance-Kollektivs LUKAS UND. Zur Website.
Rosa Wernecke ist Mitglied des Performance-Kollektivs Swoosh Lieu. Zur Website. 

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