Performance und FAKE

Wir leben in einer Welt, in der Menschen millionenfach Bilder von ihren Pizzen hochladen, die vor ihnen auf dem Teller liegen. Ob es diese Pizzen tatsächlich gibt, und ob diese Pizzen tatsächlich so sind, wie sie aussehen, ist egal. Aber: sie sind da im digitalen Weltbewusstsein. Die Pizza performt. 

(c) Jochen Melchior

Wir leben in einer Welt, in der sich Menschen millionenfach selbst hochladen. Mit Bildern von ihren Gesichtern und Körpern. Ob es diese Gesichter und Körper tatsächlich gibt, und ob diese Gesichter und Körper tatsächlich so sind, wie sie aussehen, ist egal. Aber: sie sind da im digitalen Weltbewusstsein. Die Gesichter und Körper performen. 

Unsere Welt ist von den Prinzipien der Performance geprägt, sie ist übervoll davon. Es gibt es keinen Fake. Fake ist das Prinzip unserer Kommunikation als Selbstzweck. 

Die digitale Kommunikation (in sozialen Netzwerken) besteht daraus, dass kommuniziert wird. Es wird meistens nicht etwas kommuniziert, also ein Inhalt, sondern um seiner selbst willen. In einem solchen Zusammenhang gibt es keinen Fake. Die Tatsächlichkeit ist egal. Wenn also jeder und jede zum Performer seiner selbst und des eigenen Lebensstils wird und sich selbst inszeniert, muss der zeitgenössische Performer das Experiment der Imitation wagen und sich etwas zurückaneignen. Authentizität is over. Mit Echtheit und Verständnis geht es an der Performancefront nicht weiter.

Frank Willens als Performer in Sonderbare Irre kommuniziert aus dieser Erkenntnis heraus keinen Inhalt  – auch nicht sich selbst – er performt mit einem digitalem Weltbühnenbewußtsein als Selbstzweck. Jede seiner Bewegungen ist eine Kopie von etwas schon Dagewesenem. Sein Körper überträgt die Posen aus der Welt der sozialen Netzwerke auf die Bühne. Live. Er vertanzt die digitalen Geschwindigkeiten und Filter wie Slow Motion, Double Time, Zeitraffer und GIF. Die Zuschauer können die  Performance abwechselnd digital via Handy (mit Hilfe einer Live-Übertragungstechnik) oder analog betrachten. Your Life is perfect. Der Performer performt. Wir betrachten ihn und seine Tatsächlichkeit baut sich vor uns auf.

Sein Körper morpht vor unseren Augen zu einem Spiegelbild vieler uns in sozialen Netzwerken täglich umgebender Posen, wie die von Politiker*innen, Models, Pornostars, Sportler*innen, Popgött*innen, Blogger*innen, You Tube Stars, etc. Die Posen in all ihrer Deutlichkeit bringen uns näher zu unserem Selbst, das sich überhöht, schriller wird und dabei gleichzeitig egal. Wir kommunizieren, teilen und bilden Gemeinschaften beim Blick auf unsere Bildschirme oder -schirmchen.

Neben dem Solotänzer Willens erscheint in Sonderbare Irre eine Laien-Showtanzgruppe. Auch diese Tänzerinnen sind perfekt in der Ausführung ihrer Synchronität. Sie kommen aus der Welt der analogen Illusion. Illusion als Selbstzweck. Auch hier gibt es keinen Fake. Die Tatsächlichkeit der Showtanzgruppe baut sich vor uns auf. Celebrate the Illusion!

Sonderbare Irre handelt von dem Fest der Illusion, dem wir uns hingeben. Fake gibt es hier nicht. Alles ist wahr und gleichzeitig falsch. Wir, Choreograph*innen und Regisseur*innen, nutzen seit jeher die Stilmittel von Performance zur Kommunikation unserer Inhalte. Jetzt aber leben wir im Zeitalter der totalen Performance, jedes Ding, jeder Mensch, jeder blonde Präsident, jeder Lebensstil, jedes Urlaubsziel und jede Pizza performt. Sonderbar und irre. Jippie Yeah. 

Sängerin und Internet-Persönlichkeit Poppy

Zu Sonderbare Irre bei FAV18

Foto: (c) Jochen Melchior